Ein Hauch von München

 

Der neue Regionalbahnhof Potsdamer Platz zeigt eine vorbildliche Gestaltung, wie sie im Berliner Untergrund leider nur selten ist, in München aber seit Jahren die Regel. Zusätzlich an die Isar versetzt fühlen konnte man sich während der Fußball-WM durch den Einsatz von S-Bahn-Zügen der Baureihe 423. Sie haben Nach-, aber auch Vorteile gegenüber der Berliner BR 481.

Journalismus erschöpft sich heutzutage häufig darin, Pressemitteilungen nachzuplappern – gern einschließlich der in ihnen enthaltenen Fehler. Zudem ist man auf Superlative und anderes Spektakuläres fixiert. Dementsprechend galt die öffentliche Aufmerksamkeit zur feierlichen Vollendung der Berliner Bahnbauvorhaben fast ausschließlich dem neuen Hauptbahnhof.

Unter ging dabei das interessante, da ungewöhnliche Erschließungskonzept der neuen Station Südkreuz: Die Verbindung parallel angeordneter Perrons, die zudem ebenerdig und damit auf dem gleichen Niveau wie die Eingangshallen liegen, nicht durch einen Tunnel, sondern über einen Bahnsteig in der +1-Ebene: Statt durch einen Gang, der immer droht, düster, verwahrlost und bedrohlich zumindest zu wirken, werden die Fahrgäste durch eine riesige lichte Glashalle geführt, in der auch einige Kioske angeordnet sind. Wege werden auf diese Weise so weit wie möglich verkürzt.

Noch bemerkenswerter ist, insbesondere für Berliner Augen, der neue Regionalbahnhof Potsdamer Platz. Zumindest in Deutschland entstanden in den vergangenen zwanzig Jahren nirgendwo besser, ja aufregender gestaltete U-Bahnstationen als in München. Nach den eher belanglosen Anfängen auf den ersten, 1971/72 eröffneten Strecken, nach der DDR-ähnlichen Tristesse auf der damaligen U 8, die zwischen Scheidplatz und Neuperlach-Süd 1980 in Betrieb ging, und dem „Milchkaffeedesaster“ auf dem U 1-Abzweig vom Hauptbahnhof zum Rotkreuzplatz (1983), steuerte man an der Isar um: An die Stelle einer schematischen Gestaltung trat bald eine individuelle Formgebung unterschiedlicher Architektenbüros. Einfallsreichtum wurde dabei nur selten auf Spielereien verwendet, stattdessen mit einfachen Mitteln und bei Wahrung der erforderlichen Robustheit und Pflegeleichtigkeit ein oft ebenso überraschendes wie gediegenes und relativ zeitloses Erscheinungsbild erzielt. Eine besondere Rolle spielten und spielen dabei immer wieder Beleuchtungskonzepte, von denen man – wie bei vielem anderen – erst auf den zweiten Blick merkt, wie ausgeklügelt sie sind.

Nicht von ungefähr findet man derlei nun auch unter dem Potsdamer Platz: Der Regionalbahnhof ist unter wesentlicher Mitwirkung Münchner Büros ausgestaltet worden. Nun brauchen die Berliner nicht mehr in die bayerische Hauptstadt zu fahren, um wenigstens zu erahnen, was für unterirdische Stationen auch sie in Spandau und Reinickendorf besitzen könnten, hätte man deren Auskleidung nicht einem Beamten und dessen mittelmäßigen, oft antifunktionalen Einfällen ausgeliefert. Oder wie es im Berliner Untergrund aussehen könnte, würde die BVG nicht dem Irrglauben anhängen, die optimalste Form der Beleuchtung wäre, eine undifferenzierte, möglichst gleichförmige Lichtsoße über die gesamte Bahnsteighalle zu gießen.

Der Regionalhalt Potsdamer Platz zeigt, wie es anders geht: Spots an der Decke, an manchen Stützen, an den Sockeln der Rolltreppen, und Leuchten unter deren Handläufen, durch welche die Ausgänge betont werden. Erst richtig zur Geltung kommen auf diese Weise die beleuchteten Stations- und Hinweisschilder. Der durchdachte Einsatz des Lichtes erinnert an die ursprüngliche Situation auf der heutigen Berliner U 8 zwischen Gesundbrunnen und Leinestraße, die leider längst zerstört worden ist.

Im April 2013, als die auf dieser Seite zu sehenden Photos entstanden, waren leider Teile der Beleuchtung der Hintergleisflächen defekt.

Licht wird unter dem Potsdamer Platz auch zur Gestaltung der Seitenwände benutzt – wagenkastenhoch sind die Hintergleisflächen mit hinterleuchteten Milchglasscheiben verkleidet. In München findet man derlei auch, übertroffen nur vom geschickten Tünchen der Wände oder der Zurschaustellung des nackten Betons bzw. der Bohrpfähle – derweil es bei der BVG so scheint, als wollte sie momentan jede verfügbare Wand mit Blechen zupflastern.

So simpel und zeitlos die hinterleuchteten Glasflächen sind, sie geben der Perronhalle eine frische, saubere, geradezu kühle Erscheinung, zurückhaltend und reduziert, aber alles andere als ärmlich wirkend. Damit harmoniert die gesamte Gestaltung: Neben Glas Naturstein, Metall (auch in Gestalt der Deckenabhängung aus einfachen Gittern) und – an den Stützen und Decken – dunkel getünchter Sichtbeton.

Der Blindenleitstreifen auf den Bahnsteigen wirkt nicht, wie so häufig in Berlin, als Fremdkörper, sondern ist, wie so häufig in München, in das Erscheinungsbild eingebunden. Und statt der unsäglichen Draht- findet man sogar Holzsitze, auf denen man sich niederlassen kann. Ebenfalls München-typisch sind schließlich die vielen Ein- und Durchblicke, die Ausnutzung der vollen Höhe des Baukörpers – immer wieder sind an der Isar Vorräume als Galerien gestaltet, von denen aus man auf die hohe Perronhalle blicken kann.

Einziger Kritikpunkt: Vier beleuchtete Bahnsteigschilder und einige unbeleuchtete, die kaum auffallen, sind eindeutig zu wenig. Wie auf den anderen neuen Stationen sollte die DB AG hier schleunigst nachrüsten, zumal die Hintergleisflächen ohne Namensangaben geblieben sind. Und übrigens auch, wie die Perrons, ohne Werbung – auf die Einnahmen daraus verzichtet man bei der Münchner U-Bahn schon seit Jahren gern, da man sich das Ambiente der neueren Stationen nicht durch allerlei Plakate und andere Reklame verderben lassen will.

Während der Fußball-WM betrieb die DB AG bekanntlich auf eigene Kosten auch eine als „S 21“ bezeichnete Verbindung zwischen Gesundbrunnen und Südkreuz durch den neuen Nord-Süd-Tunnel. Zum Einsatz kamen Wagen der Baureihe 423 aus Frankfurt am Main und München, so daß man sich auch dadurch nach Bayern versetzt fühlen konnte. Im Vergleich zur Berliner Baureihe 481 überzeugten die Einheiten, bei denen jeweils vier Wagen einen durchgehenden Fahrgastraum bilden, durch in Berlin längst vergessene Traditionen wie Abfalleimer und Gepäckraufen. Und sind an den Fenstern nicht sogar Kleiderhaken zu entdecken?

Die Rückenlehnen sind sehr hoch, wodurch man sogar seinen Kopf anlehnen kann, andererseits wirkt der Fahrgastraum dadurch „zugebaut“, weniger transparent, und dies obwohl er deutlich höher ist als in Berlin. Die Farbgebung in Grau (Wände, Sitzgestelle) und Blau (Sitzbezüge) überzeugt im Vergleich vor allem zum Blaugrün, mit dem die BR 481 in den achtziger Jahren stehengeblieben scheint. Ungewohnt ist die Türschließautomatik, die einsetzt, wenn drei Sekunden lang die Lichtschranke nicht unterbrochen worden ist. Eine Lösung, die auch insofern sinnvoll anmutet, als nervtötendes Gefiepse der Warneinrichtung entbehrlich und im Winter der Wärmeverlust so gering wie möglich gehalten wird.

Eindeutig zu klein sind die pro Einheit zwei Mehrzweckabteile ausgefallen, zumal es auch keine Längssitze an den Wagenübergängen gibt, wie sie die BR 481 vorweisen kann. Ebenso sind die Möglichkeiten, sich festzuhalten, dürftig. Auch mit ihren in Richtung Fahrgastraum gebogenen Stangen neben den Türen überzeugt die BR 481 in diesem Punkte mehr, ganz zu schweigen von der Beleuchtung, die sich bei der BR 423 auf ein – fast möchte man sagen: plumpes – Lichtband in der Scheitellinie des Fahrgastraumes beschränkt. Die Haltestellendisplays sind recht klein. Zum Vorbild nehmen sollte man sich in Berlin hingegen die Angabe von Liniennummer und Fahrtziel auch an den Wagenseiten – insbesondere wenn im Zuge des allgemeinen Wegsparens von Service demnächst auf vielen S-Bahn-Stationen nur noch Blechschilder hängen, welche höchst vage die Fahrtrichtung angeben.

 

 

Text veröffentlicht am 12. Januar 2007.

 

 

 

 

Top